Seit Thilo Sarrazins Beitrag zum vermeintlichen Integrationsunwillen türkisch- und arabischstämmiger Menschen häufen sich Ressentiments bei Stadtrundfahrten durch Kreuzberg. Die Erfahrungen eines Stadtführers
Die Umar-Ibn-Al-Khattab-Moschee hat sich architektonisch hervorragend dem Straßenbild angepasst. Lediglich die angedeuteten Minarette auf dem Dach und der orientalische Touch lassen erkennen, dass es sich bei dem Gebäude um eine Moschee handelt. Es ist die zweitgrößte der Stadt. Viel Glas vermittelt Transparenz und tatsächlich sind Interessierte im Gotteshaus jederzeit herzlich willkommen. Wenn etwas stört, dann vielleicht die Deutschlandfahne vor der Moschee. Sie will nicht so recht zum politisch links geprägten Quartier rund um den Görlitzer Bahnhof passen.
Birol Ucan vom Vorstand für Öffentlichkeitsarbeit ist sichtlich Stolz auf das schöne Haus, das im vergangenen Jahr Eröffnung feierte. Islamophobe Sprüche seien ihm noch nicht zu Ohren gekommen und Drohungen habe seine Moschee bisher auch noch keine erhalten. Die Besuchergruppen, mit denen er sprechen würde, seien eher gegen die Thesen Sarrazins.
Er kennt die Kommentare der Touristen nicht, die in Reisebussen sein Gotteshaus passieren. Es ist zwar nur eine Minderheit, die sich abfällig bis hasserfüllt äußert. Doch ihre Zahl ist seit Thilo Sarrazins Thesen vom Integrationsunwillen türkisch- und arabischstämmiger Menschen merklich gestiegen. „Die gehört hier nicht hin“, ist schnell dahin gesagt. „Das hier ist nicht mehr Deutschland“, ein anderes häufig gehörtes Statement. „Die sollen abhauen, dorthin, wo sie herkommen“, hat dann schon einen aggressiveren Unterton.
Was ist passiert? Vergessen der Sommer der Fußball-WM in Südafrika, als Mesut Özil erfolgreich für Deutschland gegen den Ball trat. Als die größte Deutschlandfahne in Neukölln hing und sich die kritisch beäugten Kopftuchmädchen die deutschen Farben auf ihre Wangen malten? Jetzt sind sie wieder ganz normale Kopftuchmädchen, so genannte „Pinguine“, die zwar in Berlin geboren wurden, aber nach Ansicht so mancher Touristen nicht nach Berlin gehören.
Immerhin ist das Interesse an Kreuzberg und Neukölln bei vielen Reisegruppen gestiegen: „Wir wollen mal dahin, wo die ganzen Türken wohnen“, ist ein immer wieder geäußerter Wunsch. Eine gewisse Enttäuschung folgt, wenn sich dann kein Ghetto auftut, das von finster dreinblickenden Menschen bewohnt wird.
Doch hartnäckig werden Ressentiments gepflegt und längst Überholtes zum Besten gegeben.
Selbst der Klassiker, dass Türken massenhaft nach Deutschland einwandern würden, um schmarotzend die Sozialleistungen einzufordern, ist wieder zu hören. Tatsächlich verlassen mehr türkischstämmige Deutsche das Land als Türken einwandern. Sorgen machen sollte es vielmehr, dass diejenigen, die gehen, zum großen Teil hoch qualifiziert sind. Sowie der Sachverhalt, dass von den hoch qualifizierten Neubürgern viele nicht die Anstellung finden, die ihrer Ausbildung entsprechen müsste.
Stattdessen hat ein Biedermann und ein Brandstifter in den letzten Monaten dafür gesorgt, dass viele Menschen ein Gefühl des nicht erwünscht seins beschlich. Andere hat der Biedermann darin bestärkt „endlich mal sagen zu dürfen, was sowieso alle denken: Wir habe zu viele Ausländer.“ Und so verwundert es nicht, dass eine Frau in den Bus ruft: „Mein Gott, wie sieht das denn hier aus!“ Doch diesmal muss ich ein wenig in mich hineinlachen. Wir erreichen gerade von Friedrichshain kommend das von Gentrifizierung bedrohte Quartier rund um die Oberbaumbrücke. Junge Menschen aus aller Welt bestimmen das Straßenbild. Es sind Touristen, Studenten, Kreative und Überlebenskünstler. Eine Szene voll pulsierenden Lebens. So wie man sie sich in einer modernen Metropole nur wünschen kann und weshalb so viele Menschen nach Berlin kommen. Da war die Frau wohl ein bisschen voreilig.
Berlin, XX / Erschienen im Stachel XX