Beziehungsabbrüche, gewalttätiges Umfeld, sexuelle Übergriffe. Die Gründe für Kinder oder Erwachsene, den Kindernotdienst zu kontaktieren, sind so traurig wie vielfältig. Ein kurzer Besuch bei einer Kreuzberger Institution.
Ein schöner und etwas verwunschen wirkender Altbaukomplex an der Hochbahnlinie 1 zwischen den Stationen Kottbusser Tor und Prinzenstraße unterbricht wohltuend die Tristesse des angrenzenden Hochhausgürtels. Der hier beheimatete Kindernotdienst bietet in hellen, sympathisch gestalteten Räumen eine Anlaufstelle für hilfsbedürftige Kinder, Eltern und Menschen, die sich um Kinder sorgen. Ihnen wird vom ersten Beratungsgespräch bis zur Möglichkeit einer vorübergehenden Unterkunft für die Kinder ein breites Spektrum unterstützender Maßnahmen angeboten. Da die Not der Hilfesuchenden weder Wochenende noch Feierabende kennt, bleibt das Haus in der Gitschiner Str. 49 selbstverständlich rund um die Uhr telefonisch und persönlich erreichbar. Es stellt den rettenden Anker für jährlich circa 2000 Kontaktsuchende dar.
Die einprägsame Nummer 610061 wird folglich nicht ausschließlich von Kindern gewählt, sondern auch von besorgten Erwachsenen aus deren Umfeld. Glücklicherweise gelingt es dem Beratungsteam in circa der Hälfte aller Fälle eine Entwicklung anzustoßen, die eine Rückkehr der Kinder in die jeweiligen Familien nach bereits wenigen Gesprächen möglich macht. Andererseits wird der Kindernotdienst auch mit Schicksalen konfrontiert, welche sofortige Schutzmaßnahmen für die betroffenen Heranwachsenden erfordern. Hier bietet die Gitschiner Straße 49 eine erste Adresse, sollte das Jugendamt nicht erreichbar oder eine Unterbringung sofort nötig sein.
Frau Köhn, engagierte Koordinatorin des Hauses, beobachtet Tendenzen einer zunehmenden Verarmung. So sei es beispielsweise eine traurige Entwicklung, dass häufig Familien im Bezirk medizinische Leistungen für ihre Kinder nicht in Anspruch nehmen und auch nicht krankenversichert sind. Hilferufe kommen zudem vermehrt aus Haushalten, die aus Alleinerziehenden, meist der Mutter, bestehen. Armut und Überforderung würden psychischen Krisen und Notlagen fördern, so Frau Köhn.
Auffallend ist ferner die geringe Zahl Ratsuchender mit Migrationshintergrund, was in einem multikulturellen Umfeld, wie es Kreuzberg darstellt, überrascht. Als eine mögliche Erklärung nennt die Koordinatorin des Hauses das Bemühen der Betroffenen, familiäre Probleme ohne Hilfe von Außen innerhalb des Familienverbandes zu lösen. Um dies ein Stück weit zu ändern, würde sie sich einen größeren Bekanntheitsgrad des Kindernotdienstes und anderer Beratungsstellen innerhalb der türkischsprachigen oder arabischsprachigen Gemeinschaft wünschen.
Im kommenden Mai wird das aus 28 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bestehende Personal den 30. Geburtstag der Institution feiern. Das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg als Träger der Einrichtung hat dessen Existenz gesichert. So begrüßenswert dieser Sachverhalt auch ist, so traurig bleibt die Notwendigkeit von Notdiensten für Kinder und Jugendliche.
Zur Info:
Jugendnotdienst (0-24 Uhr) 61 00 62
Kindernotdienst (0-24 Uhr) 61 00 61
Hotline-Kinderschutz 61 00 66
Berlin, den 21. November 2007 / Erschienen im Stachel Winter 2007 www.frieke.de/stachel/824054.html