Im ehemaligen Ostblock ehrten Entscheidungsträger den griechischen Kommunisten Nikos Belojannis auf unterschiedliche Art und Weise: In Rumänien erhielten Straßen seinen Namen. Der Berliner Bezirk Lichtenberg erinnerte an ihn, indem er eine 2,80 Meter hohe Bronzestatue aufstellen ließ. Selbst die berüchtigte Firma Topf & Söhne aus Erfurt, welche Verbrennungsöfen für Konzentrationslager während der NS-Zeit konstruierte, nannte sich nach Krieg und Verstaatlichung VEB Nikos Belojannis. Den konsequentesten Schritt wagten jedoch die Behörden in Ungarn, die einem ganzen Dorf seinen Namen gaben.
Wer war dieser Nikos Belojannis? In Amalias auf der Peloponnes im Jahre 1915 geboren, gehörte er zum Führungszirkel der Kommunistischen Partei Griechenlands. Aufgrund seines politischen Engagements ließ ihn das Regime des Generals Metaxas in den dreißiger Jahren festnehmen. Während der deutschen Besatzungszeit gelang ihm jedoch die Flucht aus der Haftanstalt. Er stieß zur Widerstandsbewegung EAM/ELAS, welche von seinen Parteigenossen dominiert wurde.
Im Antagonismus um eine Neugestaltung der Nachkriegsordnung entzündete sich der Griechische Bürgerkrieg: Die Kommunistische Partei sah sich um den politischen Lohn ihres Widerstandstandes während der Besatzungszeit gebracht. Daher setzte sie nach gescheiterten Verhandlungen ihre Partisanentätigkeit gegen den nun primär von den USA protegierten Staat fort.
Als sich der Bürgerkrieg im Jahre 1949 dem Ende näherte, musste Belojannis aus Griechenland fliehen – die Kommunistische Partei war verboten, die Strukturen vor Ort zerschlagen. Um eine neue Organisation im Land zu gründen, reiste Belojannis bereits im folgenden Jahr wieder ein. Seine Tätigkeit blieb den Behörden jedoch nicht verborgen. Sie ließen Belojannis verhaften und klagten ihn der Spionage für die Sowjetunion an. Trotz internationaler Proteste verhängte das Gericht ein Todesurteil, weshalb Belojannis am 30. März 1952 auf dem Militärplatz Goudi erschossen wurde1.
Sowohl das Gerichtsverfahren wie auch die anschließende Hinrichtung lösten Empörung und Bestürzung bei den im Ausland ausharrenden griechischen Kommunisten und ihren Sympathisanten aus. Ein Großteil war gegen Ende des Bürgerkrieges über die nordgriechische Grenze nach Albanien, Bulgarien oder Jugoslawien geflohen2. Folgende Verschickungen führten exemplarisch in die DDR, nach Polen und sogar in die Usbekische SSR3.
Ein Kontingent mit Flüchtlingen erreichte die Volksrepublik Ungarn. Da hier auf eine gute medizinische Versorgung zurückgegriffen werden konnte, sammelten sich im Land primär Kinder, alte Menschen und Schwerverletzte. Ihre Zahl kann mit 9000 Personen angegeben werden, von denen wiederum 3000 im Kindesalter steckten.
Neben der Unterbringung in ungarischen Gemeinden, konzipierten die Entscheidungsträger im Jahr 1950 eine unabhängige Siedlung. Sie erhielt zunächst den politisch neutralen Namen Görögfalva (= Griechendorf). Doch im Kontext der beschriebenen Ereignisse in Griechenland folgte schließlich die Umbenennung in Beloiannisz.
Beloiannisz ist heutzutage problemlos mit der Bahn zu erreichen. Zunächst muss ein Nahverkehrszug vom Budapester Südbahnhof genommen werden. Bei der circa 60 Kilometer südlich der Hauptstadt gelegenen Bahnstation Ivancsa gilt es, auszusteigen. Ivancsa wird von Feldern umrahmt und liegt scheinbar im Nirgendwo. Doch dient die Bahnstation drei Dörfern der Umgebung als infrastrukturelle Anbindung an den Personennahverkehr. Zu den besagten Orten zählt auch das wenige hundert Meter entfernte Beloiannisz.
Hier leben ca. 1250 Ungarn und Griechen sowie eine kleine Gruppe slawischer Makedonier4 in weitgehend friedlicher Koexistenz. Dabei stellt die griechische Gemeinschaft mittlerweile eine Minorität von vielleicht zwanzig Prozent. Zahlreiche Flüchtlinge kehrten bereits in den 80er Jahren nach Griechenland zurück, als Athen eine entsprechende Repatriierung beschloss. Folglich blieben zumeist die Alten oder mit einem ungarischen Partner liierten Menschen griechischer Abstammung im Ort.
Dieser wird von einfachen Reihenhäuschen dominiert. Im Dorfkern fallen ferner öffentliche Gebäude auf, die beim Besuch sowohl mit der griechischen wie auch mit der ungarischen Fahne beflaggt waren. Hier befinden sich die Schule, das Bürgermeisteramt, der Supermarkt und mehrere, in der Tendenz düster wirkende Tavernen. Dem Namensgeber Belojannis hat die Gemeinde wiederum ein Bronzerelief gewidmet. Da er zu seinen Gerichtsverhandlungen stets mit einer Nelke erschien, findet sich diese Blume neben einer dorischen Säule auch im Ortswappen.
Im Bürgermeisteramt war zu erfahren, dass in Folge des Bürgerkrieges Flüchtlinge aus 263 griechischen Ortschaften nach Beloiannisz kamen. Im Jahre 1952 erreichte das Dorf mit 1850 Menschen seine höchste Einwohnerzahl. Es existierten damals eine Handwerkerkooperative, eine Agrarkooperative und eine Kooperative, die den Handel mit Kleidungsstücken organisierte.
Als Indikator einer weitgehenden Abkehr vom Kommunismus und dem damit verbundenen Atheismus ist die im Jahr 1996 fertig gestellte und dem heiligen Konstantin geweihte griechisch-orthodoxe Kirche zu sehen. Sie steht am Ortseingang und imitiert in ihrer Architektur den byzantinischen Stil. Auf dem dazugehörigen Grundstück erinnert ein Gedenkstein an die Märtyrer der Freiheit. Einige von ihnen liegen auf dem nahen Friedhof.
Es ist ein Platz, der einen weiten Blick über das flache Land bietet. Die Grabsteine geben Auskunft über die griechischen Geburtsorte der Verstorbenen und sind zum Teil mit roten Sternen geschmückt.
Folglich ist Beloiannisz doch kein Dorf wie jedes andere. Zu dieser Erkenntnis tragen auch die in griechischer und lateinischer Schrift gehaltenen Straßennamen bei. Nicht wenige sind nach griechischen Aufständischen benannt, für deren politische Ziele auch die ersten Gemeindemitglieder gekämpft hatten5.
Als Tribut an die slawisch-makedonische Gemeinschaft im Ort heißt eine Straße nach Goze Deltschev. Dieser war Lehrer und „Berufsrevolutionär“ um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert und gehörte der Inneren Makedonischen Revolutionären Organisation an. Als politisches Ziel propagierte sie eine Abspaltung Makedoniens (und Thrakiens) vom Osmanischen Reich und den Anschluss dieser Territorien an Bulgarien. Alternativ forderte die Vereinigung eine weitgehende Autonomie für beide Regionen6.
Der besondere Stellenwert der kleinen Gemeinde lässt sich auch daran ablesen, dass in der jüngeren Vergangenheit mehrere ranghohe griechische Politiker den Weg nach Beloiannisz fanden. Ein Weg der sich unbedingt lohnt, sollte ein Interesse für griechische Zeitgeschichte bzw. die Geschichte des Griechischen Bürgerkriegs bestehen.
2 Zum Griechischen Bürgerkrieg siehe David H. Close: The Origins of the Greek Civil War (London. New York, 1995) und Heinz A. Richter: Griechenland zwischen Revolution und Konterrevolution (1936-1946) (Frankfurt am Main, 1973)
3 In diesem Zusammenhang gibt es eine informative Analyse über die griechischen Flüchtlinge in der damaligen Tschechoslowakei. Vgl. Pavel Hradecny: „Die griechische Diaspora in der Tschechischen Republik: Die Entstehung und Anfangsentwicklung 1948-1956“, in: Evangelos Konstantinou (Hrsg.): Griechische Migration in Europa. Geschichte und Gegenwart. (Frankfurt am Main. Berlin. Bern. Brüssel. New York. Oxford. Wien, 2000), pp. 95ff
4 Zahlreiche slawische Makedonier aus Nordgriechenland kämpften während des Bürgerkriegs auf Seiten der Partisanen.