Wanderungen im Garten der Gottesmutter Maria

Auf einer von der Ägäis umspülten Landzunge im Norden Griechenlands liegt die autonome Mönchsrepublik Athos. Ein Zentrum des orthodoxen Christentums, welches nur Männern und Jungen zugänglich ist. Hier leben und beten zirka 2000 Mönche in imposanten Klöstern oder bescheidenen Einsiedeleien. Ein Besuch

Der schmale und von mediterraner Vegetation überwucherte Pfad geht abrupt in eine kleine von Olivenbäumen gesäumte Lichtung über. Ein tiefblauer Himmel und das satte Grün einer wilden Mittelgebirgslandschaft umrahmen dieses Stück Erde. Es scheint von der Welt vergessen. Bis hierher bin ich zwei Stunden gewandert und allmählich stellt sich Euphorie ein. Es sind nur noch wenige hundert Meter einen steinigen Weg hinab zur zerklüfteten Küste. Dort wartet das Ziel, das majestätisch anmutende russische Kloster Panteleimonos. Mehr Kleinstadt als Kloster verirren sich in seinen Gemäuern gerade einmal 50 Mönche. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts beteten dagegen 1500 Klosterbrüder in der Anlage. Das weiß gehaltene Klosterareal mit seinen hellgrünen Dächern liegt still in der Mittagssonne. Baumaschinen weisen auf Renovierungsarbeiten hin. Mich beschleicht ein ungutes Gefühl. Ist eine vorgesehene Übernachtung möglich? In der kühlen Eingangshalle stoße ich zunächst auf einen Zeitmesser, der die byzantinische Uhrzeit anzeigt. Deren Stunde Null beginnt bereits mit Sonnenuntergang. Dann höre ich endlich Stimmen aus einem Aufenthaltsraum. Ein junger Mönch diskutiert mit zwei Arbeitern und zeigt sich von meiner Gegenwart überrascht. Mit dem Ausdruck ernst gemeinten Bedauerns erklärt er in perfektem Englisch, dass es tatsächlich keine Übernachtungsmöglichkeit gäbe. Die Alternativen? Er führt mich zu einem voluminösen Wandgemälde. Es zeigt die Athoshalbinsel und ihre zwanzig Großklöster. Nach einem Gläschen Weinbrand, zwei Gläsern Wasser und der obligatorischen Süßigkeit Loukoumi, die aus Fruchtgelee und Puderzucker besteht, muss ich zurück in die nahezu unberührte Natur. Auf zum nächsten Kloster.

Tatsächlich erbitten mittlerweile mehrere Mönchsgemeinschaften eine Anmeldung. In der Vergangenheit genügte es dagegen, die beim Pilgerbüro in Thessaloniki beantragte Einreisebescheinigung für das autonome Gebiet vorzuzeigen. Diese kostet 25 Euro und berechtigt als eine Art Visum zu einem viertägigen Aufenthalt.

Simonos Petras ist schließlich meine zweite Wahl. Ein spektakulärer Klosterbau, der über eine geschotterte Serpentinenstraße zu erreichen ist. Nach einer Stunde des Wanderns hält das zweite Auto. Ein geländegängiges Fahrzeug, an dessen Steuer ein sonnenbebrillter Mönch sitzt. Er bringt Pilger zum Kloster und hat noch einen freien Platz. Sein Angebot möchte ich bei gefühlten 30 Grad Celsius nicht abschlagen. Mit Mönchsgesang aus dem Radio wird die Reise fortgesetzt. Simonos Petras liegt phantastisch auf einem 280 Meter hohen Felsen. Während der karge 2033 Meter hohe Berg Athos im Hintergrund die Kulisse bildet. Mehrere Mönche heißen die Neuankömmlinge willkommen. In einem kleinen Empfangsraum reichen die Klosterbrüder Schnaps, Wasser und Loukoumi, dann folgt der Eintrag in das Klosterbuch. Das anschließende Essen besteht aus gefüllten Tomaten und schmeckt hervorragend. Allerdings irritieren mich die Teller ein wenig. Sie zeigen den doppelköpfigen Adler des Byzantinischen Reiches. Auf der Athoshalbinsel scheint dieser längst untergegangene Staat tatsächlich fortzuleben.

Bis zum Abendgottesdienst bleibt Zeit für einen Spaziergang in die umliegende Natur. Steil abfallende Felsen, die bei Sonnenuntergang zu glühen beginnen, führen hinab zu weiteren Klöstern an der Küste. Diese besitzen einen burgenähnlichen Charakter, da sie im Mittelalter Piratenüberfälle abwehren mussten. Die Atmosphäre lädt zum Nachdenken ein. In der Ferne, jenseits des tiefblauen Meeres, ist die Silhouette der weltlich geprägten Halbinsel Sithonia erkennbar. Sie scheint nicht mehrere Kilometer sondern mehrere Jahrhunderte entfernt. In die Stille bricht plötzlich rhythmisches Klopfen. Ein kleiner Hammer wird gegen einen Holzbalken geschlagen. Es ist Zeit für den Abendgottesdienst. In das Kirchlein des Klosters drängen sich Pilger und Mönche. Kerzen werfen ein warmes Licht auf die Anwesenden. Weihrauch durchzieht den Raum. Gebete und Gesänge entfalten meditative Wirkung. Allmählich glaube ich die Legende, wonach die Athoshalbinsel der Garten der Gottesmutter Maria sein soll.

Am nächsten Tag chauffiert ein Mönch die Gäste des Klosters zum Haupthafen Daphni. Dort verbinden Fähren die Mönchsrepublik mit der Grenzgemeinde Ouranopolis. Es herrscht reges Treiben auf dem Hafenvorplatz. Die anwesenden Männer, mit Rucksäcken und Tüten hantierend, diskutieren in den Sprachen des Balkans. Es sind Pilger, Mönche und Arbeiter. Auf einige wartet ein klappriger Überlandbus, der Daphni mit dem Hauptort Karyes verbindet. Zu diesem zentralen Dorf im gebirgigen Landesinneren möchte ich wandern. Der Weg führt durch lichte Wälder aber auch durch schattenlose Strauchlandschaft. Es geht fast ausschließlich bergauf. Eine schweißtreibende Angelegenheit, die aufdringliche Fliegen anzieht. Nur ein einziges Mal begegnen mir weitere Wanderer. Ein Vater und dessen Sohn, welche ich bereits von weitem in Ihre Handys rufen höre. Gegen Abend erreiche ich endlich Karyes, eine Gemeinde mit 200 Einwohnern. Auf den ersten Blick ein ganz normales griechisches Dorf, wenn nicht die Frauen fehlen würden.

Von Karyes aus verkehrt eine Kleinbuslinie zum wichtigsten Kloster der Athoshalbinsel, Megisti Lavra. Es liegt an der Südostküste und ist über eine holprige Piste, die teilweise durch urwüchsig wirkende Wälder führt, erreichbar. Hier finden Pilger das Grab des Athanasios Athonites. Er ist Begründer der im 10. Jahrhundert beginnenden Klostergeschichte des Berges. Zwar wollte er das Leben eines Eremiten führen, doch sein Freund, der byzantinische Kaiser Nikephoros Phokas, überredete ihn zum Klosterbau. Hier steht die älteste und damit auch bedeutendste Kirche der Mönchsrepublik. Heute ähnelt das Kloster mit seinen Wehrtürmen einer mächtigen Burg. Es steht auf einem 150 Meter hohen Plateau und erlaubt einen sagenhaften Blick auf die Ägäis. Das mittelalterliche Ensemble wird leider durch einen Hubschrauberlandeplatz beeinträchtigt, der den Hauptzugang der Anlage prägt.

Gegen Abend erhalten Pilger die Möglichkeit, einen Blick auf den Reliquienschatz zu werfen. Die Präsentation der einzelnen Knochen erfolgt in einer Geschwindigkeit, die in der Nachbetrachtung keine zweifelsfreie Heiligenzuordnung erlaubt. Doch dies stört im Augenblick der Präsentation nicht. Die Anwesenden bilden andächtig eine Reihe und küssen aus Verehrung und in der Hoffnung auf zukünftigen Beistand sämtliche Reliquien. Die beeindruckende Bibliothek mit ihren 20.000 Büchern bleibt derweilen verschlossen. Sie zählt neben der Krone des byzantinischen Kaisers Nikephoros zu den größten Schätzen des imposanten Klosters. Als Mönche um 21 Uhr die Klostertore schließen, kehrt allmählich Ruhe ein. In der mit zehn Männern belegten Gemeinschaftsunterkunft wird diese nur durch das gleichmäßige Schnarchen einzelner Gäste unterbrochen.

Nach viertägigem Aufenthalt verlasse ich die Mönchsrepublik. In Daphni untersucht der Zoll zum Abschied routiniert Rucksäcke und Taschen nach Diebesgut. Dann nimmt die Fähre namens Heiliger Panteleimon Kurs auf das zwei Stunden entfernte Ouranopolis. Dort sonnen sich Frauen am Strand. Shorts und luftige Kleidung dominieren die Szenerie. Ein beinahe vergessenes Bild. Bei aller Bewunderung für die Mönche des Berges Athos, die jahrhundertealte Traditionen pflegen und somit am Leben halten. Ihr reglementierter Alltag bringt viele Entbehrungen mit sich, die nicht jeder Pilger oder Wanderer zu schultern bereit ist.

Info:

Die östliche Landzunge der nordgriechischen Halbinsel Chalkidiki wird zu einem überwiegenden Teil von der autonomen Mönchsrepublik Athos eingenommen. Eine Einreiseerlaubnis erteilt das Pilgerbüro der Heiligen Gemeinde des Athos in Thessaloniki. Da die Besucherzahl reglementiert ist, macht eine frühzeitige Anmeldung Sinn. Leider dürfen Frauen und Mädchen die Mönchsrepublik nicht betreten. Eine umfangreiche und ebenso informative Homepage bietet die Mönchsgemeinschaft unter: www.mountathos.gr Thessaloniki, den 15. August 2008 / Erschienen in Spiegel Online 11. Dezember 2008 www.spiegel.de/reise/europa/0,1518,587214,00.html